Zurückhaltung statt Nachfrage-Boom: Das sagt der Hamburger Immobilienmarkt
Manchmal bringt es die Jugendsprache in Hamburg auf den Punkt: „Ey Alder, was geht?“ – das sollte man die Makler aktuell fragen. Die Antworten sind dabei überraschend divers ...
Wer dieser Tage durch Hamburgs Wohnviertel läuft, bekommt nicht unbedingt den Eindruck, der Immobilienmarkt befände sich in einer Krise. Überall werden Dächer saniert, Fassaden gedämmt oder restauriert, Baugruben ausgehoben und Einfahrten neu gepflastert. Kräne, Gerüste, Absperrungen: Das Bild ist zumindest in den besseren Gegenden nahezu überall dasselbe. Ob das schon die Folgen vom „Habeckschen Todesstoß“ sind, wie ein Experte das geplante Gebäudeenergiegesetz nicht ganz unpassend bezeichnete, darf bezweifelt werden, denn die Baustellen bestehen zumeist nicht erst seit ein paar Wochen.
Womöglich hat sich auch die Bundesregierung in Hamburg umgesehen und ist zu dem Entschluss gekommen, dass das mit der Wohnungsnot gar nicht so schlimm sein kann, wenn überall Kräne stehen und die Auftragsbücher voll sind. Ob der Schein trügt und hier nur noch abgewickelt wird, was längst in Auftrag gegeben und mitunter schon bezahlt wurde, wird sich zeigen. 2023 wird vielerorts ein entscheidendes Jahr.
In jedem Fall zeigen sich die Makler in den Gesprächen deutlich optimistischer als erwartet. Die Stimmung hat in diesen Tagen etwas von Frühlingserwachen. Kein Wunder, wenn an Alster und Elbe die Sonne herauskommt und sich die Stadt von ihrer besten Seite zeigt.
Die Situation am Hamburger Immobilienmarkt
Doch selbst die sonst so positiv gestimmten Makler werden beim Blick auf das vergangene Jahr richtig ernst. Im letzten Quartal 2022 tendierte die Nachfrage gen null, berichtet ein Experte, und der Start ins neue Jahr sei auch wenig verheißungsvoll gewesen, heißt es des Öfteren. Doch seit Februar und März habe sich die Nachfrage wieder deutlich belebt. Nun ja, ausgehend von der kolportierten Null ist das natürlich kein Wunder.
Auch wenn sich die Situation aktuell etwas zu entspannen scheint, der Markt ist weitgehend geprägt von Zurückhaltung und Unsicherheit bei allen Beteiligten. Zähe Verhandlungen und damit verbundene längere Vermarktungszeiten, deutlich aufwendigere Zusammenarbeit mit restriktiven Banken und ein hoher Erklärungsaufwand sind das täglich Brot der Maklerschaft. Allerdings hat das Ganze auch den positiven Randaspekt, dass plötzlich wieder Qualität gefragt ist – sowohl bei den Immobilien als auch bei den Beratern.
Und tatsächlich sind es nur die wenigsten, die noch überhaupt keine Belebung des Marktes verspüren. Je nachdem, wen man fragt, ist das viel zitierte Tal der Tränen nun durchschritten, oder es stehen noch einige schwierige Monate bevor. Fest steht, dass zwar noch jede Menge Geld im Markt un- terwegs ist, das untergebracht werden muss und will. Aber fest steht auch, dass die Zeit der hochfinanzierenden Kunden erst einmal vorbei ist. Eine klare Tendenz, in welche Richtung sich alles entwickelt, ist nicht wirklich erkennbar.
Was können Verkäufer und Käufer von Immobilien jetzt tun?
Zunächst einmal gilt es, den Verkäufern die aktuelle Situation zu verdeutlichen. So hat sich der Immobilienmarkt im Laufe der vergangenen zwölf Monate um 180 Grad gedreht. Aus einem Verkäufer- ist ein Käufermarkt geworden. Und selbst in den guten Lagen sind Preisrückgänge mittlerweile eher die Regel als eine Ausnahme. Das liegt zum einen am gestiegenen Angebot und zum anderen daran, dass die Käufer das, was sie sich in der Niedrigzinsphase leisten konnten, nun nicht mehr realisieren können. Noch etwas: Nicht wenige Käufer überschätzen sich in der Erwartung, was sie finanzieren können. Kleiner Tipp dazu: Die Bestätigung der Bank sollte keinesfalls zwei Jahre alt sein ...
Wer sich die 2022er-Zahlen des Hamburger Gutachterausschusses anschaut, der erfährt leider nur die halbe Wahrheit. Denn diese zeigen zwar – mit der Ausnahme weiter gestiegener Grundstückspreise – ein ausgeglichenes Bild, allerdings sind hier auch noch die guten Umsätze des ersten Halbjahres enthalten. Die Zahlen von 2023 dürften dagegen ein deutlich anderes Bild zeigen.
Im Umgang mit der aktuellen Situation kann man den Verkäufern nur empfehlen, sich gut beraten und die Emotionen außen vor zu lassen. Klingt eigentlich selbstverständlich, doch in den vergangenen Jahren, als sich quasi jede Immobilie veräußern ließ, waren grundsätzliche „Fehler“ im Verkauf lässig zu verschmerzen. Das ist heute anders, da sich inzwischen sogar im hochwertigen Segment das Angebot vergrößert hat. Der Suchkunde hat das, was normal sein sollte – eine gewisse Auswahl.
Auch die Käufer sollten sich weniger von ihren Gefühlen und mehr von Fakten leiten lassen. Dazu gehört vor allem eine brandaktuelle Finanzierungsbestätigung. Sie ist das A und O in der momentanen Marktsituation. Und genau wie der Makler sollte man sich auch als Käufer professionell auf Besichtigung und Verhandlungen vorbereiten.
Entwicklung in den Hamburger Stadtteilen
Die Rahmendaten bezüglich Zinsen, Banken, Baukosten & Co. sind in Hamburg grundsätzlich nicht anders als im Rest der Republik. Dennoch lohnt sich der Blick in einzelne Stadtteile und Segmente, da sich hier einige interessante Entwicklungen ergeben haben.
So haben sich die Vervielfältiger im Zinshausbereich zum Beispiel deutlich relativiert. Gerade hier war ein Ende der Auswüchse jüngeren Datums vonnöten. Die Umsätze, die seit einigen Monaten gemacht werden, laufen nur über Preisabschläge. Ausnahmen gibt es – wie immer – auch, doch es bleiben Ausnahmen. Faktoren über dem 30-Fachen der Jahresnettomiete sind eher eine Seltenheit, und das klassische Zinshaus ist daher im Bereich des 20-Fachen zu bekommen. Kein Wunder, wenn sich der Zins in kürzester Zeit vervierfacht.
Und als hätte es dafür ein passendes Beispiel gebraucht, wird aktuell (zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses) ein Paket mit vier Mehrfamilienhäusern für 2,999 Millionen Euro angeboten – zum 29,7-Fachen der Jahresnettomiete. Eigentlich nicht außergewöhnlich, doch eines der Häuser befindet sich in der „sündigen“ Herbertstraße. Eine Lage auf St. Pauli, in der sonst so gut wie nie etwas angeboten wird. Und wenn doch, dann zu deutlich höheren Faktoren.
Apropos Angebot: Was auffällt, ist, dass momentan auch im wirklich hochpreisigen Segment Immobilien online angeboten werden, die man früher so nicht gezeigt hätte. Das betrifft Alsterlagen ebenso wie die Elbvororte oder auch die HafenCity. Nicht selten werden diese zu kaum noch realisierbaren Preisen angeboten. Auch aus diesem Grund sind selbst solche Perlen nun mitunter länger in der Vermarktung. Wer allerdings damit rechnet, in diesem Bereich „Schnäppchen“ machen zu können, der dürfte wohl enttäuscht werden. Die Kunden seien wählerischer geworden und weniger abschlussfreudig, heißt es.
Echtes Interesse bei den Käufern vorhanden
Ob nun im Alstertal, rund um die Alster oder an der Elbe – die Resonanz am Markt ist derzeit eindeutig besser als noch vor sechs Monaten. Von Stillstand also keine Spur. Einwertungen, aber auch Verkäufe haben zumindest in den gefragten Wohnlagen wieder zugenommen. Wer jetzt suche, habe echtes Kaufinteresse, berichten die Makler. Und gerade auch die Neukundenanfrage sei absolut positiv. Jedenfalls wenn die Immobilien marktgerecht eingepreist sind. Das gilt im Übrigen für nahezu jedes Marktsegment. Dabei zeigt sich, dass es sich bei den Interessenten zumeist um solvente Kunden handelt, für die Finanzierung eher eine untergeordnete Rolle spielt. Der Ausdruck „Cash is King“ fällt dieser Tage mehrmals. Allerdings wird auch davon berichtet, dass die Verhandlungen nicht gerade einfach seien. Auch der Begriff „zäh“ wird häufiger als sonst verwendet.
Ein besonderes Thema ist der Neubau. Hier fällt vor allem die fehlende preisliche Flexibilität ins Gewicht. Kosten, die bereits entstanden oder einkalkuliert sind, lassen sich halt schlecht wieder revidieren. Von fallenden Preisen kann man also kaum ausgehen. Noch sieht es in Sachen Angebot vernünftig aus, doch die Verknappung dürfte nicht lange auf sich warten lassen. Denn bereits jetzt wird das eine oder andere Projekt geschoben, weil das Interesse rückläufig ist. Dabei ist der Neubau in Zeiten der Energiewende die passende Alternative zum Bestand – wenn man ihn sich leisten kann.
Das Fazit
Der Immobilienmarkt hat zurzeit mit mehr Variablen zu tun als üblich. Es gibt – bildlich gesprochen – mehr Baustellen, als wirklich gesund wäre. Verunsicherung, Zurückhaltung, zähe Verhandlungen und die zum Teil große Diskrepanz zwischen dem, was sich Verkäufer und Käufer als passenden Preis vorstellen, stehen einer Art Frühlingserwachen gegenüber. Man darf gespannt sein, welche Stimmung sich langfristig durchsetzen wird. Doch eines sollte allen klar sein: Angesichts der fetten Jahre, die hinter uns liegen, bedeuten preisliche Anpassungen – selbst im niedrigen zweistelligen Bereich – nur ein wenig weniger Gewinn. Aktuell befindet sich der Hamburger Wohnimmobilienmarkt ganz allgemein auf dem Preisniveau von Ende 2018/Anfang 2019 – also der Vor-Coronazeit. Von Krise hat damals auch niemand geredet, oder?
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Lagen und Immobilienpreise in Hamburg
Konsolidierung der Preise in Hamburg
Das vergangene Jahr hat gezeigt, dass die Preise auch in Hamburg nicht mehr in den Himmel wachsen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, gilt es für Verkäufer nun wohl kleinere Brötchen zu backen
ANMERKUNG Aufgrund von Stichprobenunterschieden können die ermittelten Durchschnittswerte zum Teil deutliche Abweichungen enthalten. Es handelt sich bei den Daten nicht um normierte Kaufpreismittel, die die Unterschiede in den Stichprobenmerkmalen mit Umrechnungskoeffizienten ausgeglichen haben.
BEL 04/23