So geht es Sylt in den Post-Coronajahren
Luxus, Promis, Preisrekorde – alles schön und gut, aber manchmal möchte Sylt wieder eine ganz normale Urlaubsinsel sein. BELLEVUE erkundet Stimmungen und Marktlage
Auch auf Sylt wachsen die Bäume nicht in den Himmel. Schon im vergangenen Jahr waren die Besucherzahlen im Vergleich zu 2022 rückläufig. Okay, der Vergleich hinkt ein wenig, weil die Post-Coronajahre eine Ausnahmesituation darstellten. Alle sehnten sich damals nach Urlaub in Deutschland oder nach einem auch in Pandemie-Zeiten per Auto erreichbaren Feriendomizil. Das feuerte den Tourismus und auch die Immobilienpreise gewaltig an. Aber dieser Boom ist nun vorüber. Die Konkurrenz aus Südeuropa und weltweit ist wieder da. Die Liebe und Treue der Syltfans zu ihrer Insel ist zweifelsohne groß und belastbar, aber sie ist keine in Stein gemeißelte Selbstverständlichkeit. Immer teurer, immer weniger Service – selbst Sylt kann sich nicht alles erlauben.
Für die Generation der wohlhabenden Babyboomer gilt Sylt noch als Statussymbol und „the place to be“. Aber allein von ihnen wird die Insel nicht ewig leben können. Ein Image als „Insel der reichen Rentner“ lockt kaum neue Gäste an.
In letzter Zeit waren die Meldungen aus dem hohen Norden eher negativ. Von den „Prosecco-Nazis“ in Kampens Edelkneipe Pony zu Pfingsten einmal abgesehen, sorgten vor allem Schlagzeilen wie „Personalmangel auf Sylt: 1.000 offene Stellen“ und „Verbot von Ferienwohnungen“ für Aufregung. Das „Airbnb-Syndrom“, unter dem schon viele Großstädte leiden, betrifft auch Sylt. Jahrzehntelang hatten Hausbesitzer zunehmend Mietwohnungen in Ferienwohnungen verwandelt, weil sie so übers Jahr gesehen eine deutlich bessere Rendite erwirtschaften. Ferienimmobilien auf Sylt sind bundesweit Rekordmeister, schaffen bis zu 300 vermietete Tage im Jahr. Doch diese Art kreativen Schaffens von lukrativen Übernachtungsplätzen für Urlauber scheint nun nicht wenigen auf die Füße zu fallen. Denn eine Nutzungsänderung hätte in vielen Fällen einer Genehmigung bedurft.
Das ist im Zuge der Goldgräberstimmung seinerzeit offenbar verschwitzt worden. Und so hat sich ein System von „Graunutzung“ etabliert, bei dem Investoren manchmal gar nicht wussten, dass sie eigentlich ein Wohnhaus und kein Ferienhaus gekauft hatten. Oder dass in Neubaugebieten Bauten gleich als Ferienhaus angelegt waren, obwohl jene im Bebauungsplan als reines Wohngebiet ausgewiesen sind. Die Gemeinde Sylt (südlich von Wenningstedt bis nördlich von Hörnum) hatte deshalb im letzten Jahr einstimmig ein neues Beherbergungskonzept beschlossen. Was genau dies bedeutet, ist allerdings bis heute unklar. Erst einmal muss festgestellt werden, wie viele Ferienimmobilien und wie viele Zweitwohnsitze es in dem Bereich überhaupt gibt, was die Bebauungspläne vorschreiben und ob und wie sie geändert werden dürfen oder können. Ein komplexes Unterfangen, allein in besagter Gemeinde Sylt sollen über 150 B-Pläne für Regeln sorgen. Und es gibt mit List, Kampen, Wenningstedt-Braderup und Hörnum noch vier weitere Gemeinden auf der Insel.
Ziel des Gemeindebeschlusses sind gar nicht unbedingt weniger Ferienwohnungen, sondern vor allem mehr und bezahlbarer Wohnraum für die Sylter. Rund 18.000 erstgemeldete Einwohner leben auf Sylt. Hinzu kommen geschätzt bis zu 4.000 Pendler, die auf dem Festland leben und auf der Insel arbeiten. Handwerker, Reinigungskräfte, Beschäftigte in Gastronomie, Hotellerie und Handel – ohne sie ist die touristische Infrastruktur der Insel nicht aufrechtzuerhalten. Während der Pandemie haben viele Dienstleister den Job gewechselt, sind in andere Branchen abgewandert. Und durch die permanente Unzuverlässigkeit der Bahn ist vielen die Lust am Arbeiten auf der Insel vergangen.
Das blieb auch nicht ohne Auswirkungen auf den Immobilienmarkt. Kaufinteresse ist noch da, aber die Interessenten sind zurückhaltender geworden, fragen sich, ob die Preise noch nachgeben werden und ob sie eine Immobilie künftig problemlos vermieten dürfen. Es drängt sie auch niemand. Ein Domizil auf Sylt ist eine reine Herzensentscheidung und ein nicht lebensnotwendiger Luxus. Auch die Verkäufer verhalten sich eher abwartend. Wer nicht aus finanziellen oder familiären Gründen verkaufen muss, behält seine Immobilie, bleibt bei seiner Preisvorstellung und schaut, wie sich die Dinge entwickeln.
Nach dem Sturm der letzten Jahre herrscht nun eine gewisse Ruhe. Die Insel ist im Wandel, muss Lösungen für ihre Probleme finden. Das wird nicht von heute auf morgen funktionieren. Aber es passiert schon etwas: Anfang Mai dieses Jahres haben sich Landrat, Baurat und Gemeindevertreter getroffen und festgestellt, dass diese Feriennutzungsdiskussion Wähler, Gäste und Investoren verunsichert – und dass die Situation möglichst schnell entschärft werden sollte. Für Immobilienintereressenten ist jetzt keine schlechte Zeit, sich nach geeigneten Objekten umzuschauen. Es ist schon wieder mehr auf dem Markt, und über Preise lässt sich im Vergleich zur Situation vor zwei Jahren auch immer öfter verhandeln.
Wer sich für Sylter Immobilien interessiert, sollte die Besonderheiten der Insel kennen. Das Angebot an Immobilien auf der 99 Quadratkilometer großen Insel ist überschaubar. Schätzungen zufolge stehen in der Regel 150 bis 200 Wohnungen und Häuser zum Verkauf. Sylt soll die höchste Maklerdichte des Landes haben und gilt in der Branche als „Haifischbecken“. Offiziell sind rund 200 angemeldete Immobilienmakler aktiv, viele davon allerdings nur nebenberuflich als „Gelegenheitsmakler“. Es gibt ungefähr 30 bis 40 Maklerbüros.
Ganz oben links in Deutschland wird mit anderen Maßstäben gemessen. Hier gilt weder die Wohnflächenverordnung noch die Wohnflächenberechnung nach DIN 277, sondern das Fußleistenmaß. Konkret bedeutet das: Gemessen wird von Fußleiste zu Fußleiste, die darüberliegende Höhe wird nicht berücksichtigt. Dieses Maß kann sogar Loggien und Terrassen sowie den Raum unter Treppen und unterhalb einer Höhe von zwei Metern vollständig miteinbeziehen.
Interessant ist auch das Sylter Souterrain, mitunter auch als „Warftgeschoss“ bezeichnet: Weil Wohnraum meist weder in der Fläche noch in der Höhe vergrößert werden darf, geht man auf Sylt gern in die Tiefe. Fast alle neueren Häuser bieten ein komfortabel ausgestattetes Untergeschoss mit Schlafzimmern, Bädern und Wellnessbereichen, die durch Lichtschächte mit Tageslicht versorgt werden. Oft übertrifft dieses Souterrain flächenmäßig sogar die Grundfläche des Erdgeschosses.Auf Sylt gibt es auffallend viele Grundstücke, die mit elegant versetzten Doppelhaushälften bebaut sind. Das liegt zum einen an den extrem hohen Grundstückspreisen, zum anderen an den regionaltypischen Reetdächern. Aus Brandschutzgründen muss bei Reetdächern ein mit zwölf Metern deutlich größerer Abstand (normal: fünf bis sechs Meter) zum nächsten Haus eingehalten werden.
Neben Reetdach, Backstein, Sprossenfenstern und verzierten Eingangstüren gelten Kapitänsgiebel (spitzer Giebel an der Frontseite) oder Friesenwall (Mauer aus Natursteinen, oft mit Heckenrosen bepflanzt) als typisch friesische Elemente. Protz ist nicht gefragt, sondern eher Tradition und Understatement. Jedenfalls von außen. Innen sind neueste Technik und moderner Landhausstil en vogue.
BEL 04/24