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Foto: stock.adobe.com/Sina Ettmer
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LEGENDÄRE NORDSPITZE Deutschlands nördlichster Punkt ist eine zwischen 330 und 1.200 Meter schmale und 4.500 Meter lange Halbinsel. Das Baden am Lister Ellenbogen ist verboten und lebensgefährlich, weil hier besonders starke Tiefenströmungen auftreten | Foto: Christian Müringer/HUBER IMAGES

Es brummt wieder auf der Insel. Mehr denn je und jetzt erst recht. Autozüge, Ferienwohnungen, Hotelzimmer, Restaurants – alles bestens gebucht. Die Sehnsucht nach Sylt kann keine Preiserhöhung bremsen. Und es geht immer noch etwas mehr. In List eröffnet in diesem Sommer das Gesundheitsresort Lanserhof. Das wahrscheinlich größte Reetdachhaus der Welt gleich rechts am Ortseingang ist nicht zu übersehen. Ab 790 Euro pro Nacht sind die 69 Zimmer zu buchen. Allerdings nur für Gäste, die auch mindestens einen einwöchigen Kuraufenthalt buchen. 10.000 Euro pro Paar und Woche kommen da schnell zusammen.

In Hörnum, am anderen Ende der Insel, ist das Muschel-Bistro derzeit „the place to be“. Tout le monde möchte einen Abend mit Muscheln, Austern oder Hummer in der engen, urigen Bretterbude auf dem Parkplatz am Hafen verbringen. Und lässt sich das einiges kosten.

Auch die Immobilienpreise rufen mittlerweile inselweit Schnappatmung hervor. Die Reihenhäuser in List am Kreisverkehr sind für jeweils über vier Millionen Euro verkauft worden. Häuser in den Dünen von Hörnum, die vor 20 Jahren 400.000 Euro kosteten, werden jetzt für das zehnfache angeboten. In Westerland wird es schwer, eine Wohnung unter 10.000 Euro pro Quadratmeter zu finden. Kampen und Keitum haben in bislang unbekannte Preissphären abgehoben – 10, 20, gar 30 Millionen.
Es geht nicht um Geld, es geht darum, überhaupt etwas zu bekommen. Das Angebot war noch nie so klein, die Nachfrage nie so groß, die Preise nie so hoch.

Alles dreht sich um Baugrundstücke. Schon seit einigen Jahren werden auch auf Sylt nicht nur Häuser aus den 1960er, 70er- oder 80er-Jahren abgerissen, um auf dem Areal etwas Neues zu errichten. Kürzlich fiel selbst ein Bau aus diesem Jahrtausend Eisenbirne und Bagger zum Opfer. Auch ein eigentlich sehr attraktives Haus direkt an der begehrten Wattseite, das für knapp unter 20 Millionen Euro den Besitzer wechselte, wurde abgerissen und soll durch eine noch schönere Villa ersetzt werden. Das Verrückte dabei: Selbst solch gewagte Projekte werden am Ende des Tages wahrscheinlich einen Gewinn erwirtschaften. Rückblickend betrachtet hätte es jedenfalls zu jeder Zeit funktioniert.

Was ist das Besondere an dieser Insel? Was rechtfertigt derart abgedrehte Preise? Die kürzeste Antwort: Sylt ist Sylt. Landschaft, Infrastruktur, Erreichbarkeit, Nordseeklima, Gastronomie, Freizeitwert, 300 Tage Saison – kaum eine andere Ferienregion Deutschlands vereint so viele attraktive Eigenschaften. Hinzu kommt noch der Promi-Bonus: Seit über einem halben Jahrhundert gilt Sylt als „Insel der Reichen und Schönen“.

Eine Immobilie auf diesen 99 Quadratkilometern mit Wiesen, Heide, Strand und Dünen in der Nordsee hat in erster Linie etwas mit Leidenschaft, Liebhaberei und Luxus zu tun. Sehnsuchtsort – dieser Begriff fällt immer wieder beim Versuch, das Phänomen Sylt zu erklären. Auch hier blieb Corona nicht ohne Einfluss. Die Pandemie hat verdeutlicht, wie sehr Selbstverständlichkeiten wie ein Restaurantbesuch oder ein Wochenende an der See fehlen können. Sie hat die Erkenntnis reifen lassen, dass man das Beste aus seiner verbliebenen Zeit machen sollte. Ein Domizil auf Sylt ist für viele ein sicherer und geliebter Rückzugsort.

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LEGENDÄRE STRANDBUDE 1978 kaufte der aus Schwaben stammende Kellner Herbert Seckler für 250.000 D-Mark einen Kiosk am Strand von Rantum. Heute werden in der Sansibar bis zu 2.000 Gäste am Tag verköstigt | Foto: picture alliance/DUMONT Bildarchiv/Olaf Meinhardt

Inselkunde

Sylt ist Deutschlands größte Nordseeinsel und nach Rügen, Usedom und Fehmarn viertgrößte Insel. 32 Kilometer misst sie in der Länge, in der Breite zwischen 320 Metern und 12,6 Kilometern. Von der Nord- bis zur Südspitze kann man auf der Westseite 40 Kilometer am breiten Sandstrand entlanglaufen.

Auf der Ostseite liegt das Watt, das zum Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer gehört und bei Niedrigwasser größtenteils trockenfällt. Knapp 18.000 Einwohner leben auf Sylt. Hinzu kommen noch circa 4.000 Pendler, die auf dem Festland wohnen und auf der Insel arbeiten. In der Hochsaison bevölkern täglich rund 150.000 Touristen die Insel.

Aufgrund der hohen Immobilienpreise und entsprechender Mieten fehlt es der Insel an Servicekräften. Es gibt spezielle Wohngebiete, in denen nur wohnen darf, wer auch ganzjährig auf der Insel lebt.

Eigenarten

Wer sich für Sylter Immobilien interessiert, sollte einige Besonderheiten und Eckdaten kennen. Das Angebot an Immobilien ist überschaubar. Schätzungen zufolge stehen in der Regel permanent nur 120 bis 150 Wohnungen und Häuser zum Verkauf. Sylt soll die höchste Maklerdichte des Landes haben. Offiziell sind rund 200 angemeldete Immobilienmakler aktiv, ungefähr 30 verfügen über einen Shop oder ein Büro.
 
Auch wird ganz oben links in Deutschland mit anderen Maßstäben gemessen. Hier gilt weder die Wohnflächenverordnung noch die Wohnflächenberechnung nach DIN 277, sondern das Fußleistenmaß. Das bedeutet: Gemessen wird von Fußleiste zu Fußleiste, die darüber liegende Höhe wird nicht berücksichtigt. Dieses Maß kann sogar Loggien, Terrassen, den Raum unter Treppen und unterhalb einer Höhe von zwei Metern vollständig miteinbeziehen.

Interessant ist auch das Sylter Souterrain: Weil Wohnraum meist weder in der Fläche noch in der Höhe vergrößert werden darf, geht man auf Sylt gern in die Tiefe. Besonders neuere Häuser bieten ein komfortabel ausgestattetes Untergeschoss mit Schlafzimmern, Bädern und Wellness-bereichen, die durch Lichtschächte mit Tageslicht versorgt werden. Oft übertrifft dieses Souterrain flächenmäßig sogar die Grundfläche des Erdgeschosses.

Neben Reetdach, Backstein, Sprossenfenstern und verzierten Eingangstüren gelten Kapitänsgiebel (spitzer Giebel an der Frontseite) oder Friesenwall (Mauer aus Natursteinen, oft mit Heckenrosen bepflanzt) als typisch friesische Elemente.

Auf Sylt gibt es auffallend viele Grund-stücke, die mit elegant versetzten Doppelhaushälften bebaut sind. Das liegt zum einen an den extrem hohen Grundstückspreisen, zum anderen an den Reetdächern. Aus Brandschutzgründen muss ein deutlich größerer Abstand zum nächsten Haus eingehalten werden.

Engpässe

Der Sylter Immobilienmarkt  hat sich in der Vergangenheit stets als stabil behauptet, bekam Krisen meist als Letzter zu spüren und kam als Erster wieder raus.

Derzeit haben die Bauträger der Insel infolge von Corona und auch dem Krieg in der Ukraine mit extrem gestiegenen Kosten und gravierenden Engpässen zu kämpfen, selbst bei so lapidaren Dingen wie Küchen-arbeitsplatten, Heizkörpern oder Kühlschränken. Die Folgen: Fertigstellungen verzögern sich, und das Angebot wird sich noch mehr verknappen. Es wird die Sylter Klientel aber nicht davon abhalten, weiter nach einem Domizil auf ihrer Sehnsuchtsinsel zu suchen.

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Das begehrte Dutzend

12 Orte gibt es auf Sylt. Jeder von ihnen hat seinen eigenen Charakter und auch sein ganz eigenes Publikum

Kampen
Das teuerste Dorf Deutschlands. Für die durchweg reetgedeckten Häuser zwischen Wattenmeer und Nordsee werden Rekordpreise von bis zu 35 Millionen Euro erzielt.

Wenningstedt
Das Familienbad der Insel lockt mit feinem Sandstrand und beleuchteten Holzstegen. Für Reethäuser in Dünenlagen werden bis zu 12 Millionen Euro verlangt.

Westerland
Die ganzjährig geöffnete Inselhauptstadt ist bestimmt keine Schönheit, entwickelt erst auf den zweiten Blick einen gewissen Charme. 1-Zimmer-Wohnungen gibt es ab 300.000 Euro.

Tinnum
Im Norden der Flughafen und ein Gewerbegebiet, mittendrin die Bahngleise. Beliebt und auch noch bezahlbar sind die Lagen südlich der Bahn und nahe Alt-Westerland.

Archsum
Sylts „ländliche Seite“. 300 Einwohner zählt das fast 600 Jahre alte Dorf. Nur sehr selten kommt eines der historischen Friesenhäuser für Millionensummen auf den Markt.

Rantum
Der kleine Ort liegt an der schmalsten Stelle der Insel. Häuser gibt es jenseits der Million, Wohnungen ab 400.000 Euro. Investoren interessieren sich intensiv für denkleinen Hafen.

Hörnum
An Sylts Südspitze, einst für Kasernen und Schullandheime bekannt, werden für Spitzenlagen mit Meerblick 3 bis 8 Millionen bezahlt, Wohnungen gibt es ab 300.000 Euro.

List
Der nördlichste Ort Deutschlands durchlebt  gerade einen echten Wandel. Der kürzlich „soft“ eröffnete Lanserhof ist ein weiteres touristisches Highlight, und mit dem Dünenpark entsteht ein ganz neues Wohngebiet.

Braderup
Der kleine Ort gehört zu Wenningstedt, gilt mit seinen Reetdachhäusern aber eher als „kleine Schwester“ von Kampen. Zählt neben Kampen und Keitum zu Sylts Toplagen.

Munkmarsch
Bekannt durch den kleinen Hafen und das Munkmarscher Fährhaus. Die wenigen Häuser des kleinen Ortes sind begehrt, besonders die mit Blick aufs Wattenmeer.

Keitum
Kapitänshäuser und Bauerngärten, Friesenwälle und verzierte Türen – Keitum ist das „Schmuckkästchen“ der Insel. Immobilien in Toplagen erzielen Liebhaberpreise.

Morsum
Hier auf Sylts Ostseite beginnt der Hindenburgdamm. Friesen­höfe mit Wattblick erzielen Höchstpreise; je näher am Bahndamm, desto erschwinglicher die Immobilien.

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Claus-Peter Haller

Redaktion BELLEVUE