Zwischen Baustopp und Zinsexplosion: Frankfurt sucht nach stabilen Verhältnissen
Der Anbruch eines neuen Zeitalters ist in der Metropolregion Frankfurt voll im Gange. Für den Immobilienmarkt könnte das durchaus auch positive Folgen haben
Auf den ersten Blick ist eigentlich alles wie in den Jahren zuvor. Das Wetter in Frankfurt präsentiert sich Anfang März gewohnt ungemütlich. Die Straßen sind weiterhin in einem erbärmlichen Zustand, und zwischen den sich in den Himmel reckenden Kränen fällt Schneeregen. Von der skizzierten Krise im Neubau ist dabei kaum etwas zu sehen. Baustellen, so weit das Auge reicht. Business as usual, könnte man meinen. Passt auch wunderbar ins Bild, dass in Frankfurt nach einer Studie von empirica-regio zwischen 2017 und 2021 bundesweit die meisten Wohnungen pro Jahr genehmigt und fertiggestellt wurden – 37,1 beziehungsweise 29,2 Wohnungen auf 1.000 Einwohner. In Stuttgart waren es im gleichen Zeitraum gerade einmal 13,5 respektive 14,3, in Hamburg 25,5 beziehungsweise 29,9 Wohnungen. Zugegeben, 2021 ist schon etwas her ...
Neue Zeiten für die Branche
Doch diese Einschätzung ändert sich mit den ersten Gesprächen. Auf die Frage, wie die allgemeine Lage am Markt sei, reichen die Antworten von schwierig bis – nennen wir es höflich – bescheiden. Dabei fallen die Worte schwierig und differenziert wohl am häufigsten. Auch in der Metropolregion des deutschen Finanzmekkas haben sich die Zeiten geändert. Offensichtlich wachsen auch hier die Bäume nicht mehr in den Himmel. Und die Kräne entgegen dem ersten Eindruck – auch nicht. Denn das, was zu sehen ist, seien die Projekte, bei denen der Zeitpunkt für einen rechenbaren Baustopp bereits überschritten sei. Die Zukunft im Neubau dürfte auch am Main anders aussehen. Die Gründe für die geänderten Vorzeichen sind bekannt. Sie reichen von Baukostensteigerung und Lieferengpässen über Krieg bis zur Zinsexplosion. Die Folgen hat Frankfurt selbstverständlich nicht exklusiv.
Die Gruppe derer, die sich eine Immobilie leisten können, ist deutlich kleiner geworden, wird berichtet. Je nach Standort seien zwischen 50 und 80 Prozent der Nachfrage weggebrochen – was nicht zuletzt auch der überaus restriktiven Haltung der Banken zuzuschreiben ist. Mehr Eigenkapital werde in Summe gefordert, und die Beleihungsgrenzen der Immobilien würden durch die Bank stark runtergesetzt, erklären die Makler. Zum Teil gebe es sogar regelrechte „Abwehrangebote“. Effektive Finanzierungspolitik sieht anders aus.
Die Stimmung gibt den Ausschlag
Dass der Markt ein komplett anderer ist als noch vor zwölf oder 15 Monaten, registrieren wohl alle Experten. Anders sieht es noch bei den potentiellen Verkäufern aus. Viele säßen noch immer auf ihrem hohen Ross und müssten die neue Lage erst einmal verinnerlichen. Ein schwieriges Geschäft, wenn Verkäufer und Käufer in ihren Vorstellungen derart weit auseinanderliegen. Und so verlängern sich die Vermarktungszeiten der Objekte so sehr, dass man den Eindruck bekommen könnte, das Angebot habe sich deutlich vergrößert. Was jedoch nicht überall wirklich der Fall ist.
Fakt ist: Vor allem Eigentümer, die gezwungen sind zu verkaufen, kommen um eine Preisreduzierung kaum herum. „Man muss aktuell selbst bei guten Objekten Nachlässe in Kauf nehmen“, bringt es ein Experte auf den Punkt. Beim privaten Wohnimmobilienmarkt ist die Stimmung das A und O – und die liegt derzeit nun mal am Boden. Hinzu kommt die Sehnsucht nach stabilen Verhältnissen. Auch die sucht man momentan vergeblich. Die Folge ist eine flächendeckende Verunsicherung, gepaart mit jeder Menge Emotionalität.
Nüchterne Analyse ist gefragt
Klar ist, dass sich nun nicht mehr jeder eine Immobilie leisten kann. Die Nachfrage der vergangenen Jahre war zum großen Teil den Zinsen geschuldet. Bei aktuell 3,5 bis 4,5 Prozent plus der geforderten Erhöhung der Tilgung seitens der Banken haben sich die monatlichen Belastungen mitunter mehr als verdoppelt.
Ebenfalls klar ist, dass die Zeiten der „Mondpreise“ für jede angebotene Immobilie definitiv vorbei sind. Wer noch immer im Wolkenkuckucksheim lebe, wird erzählt, der werde sich womöglich bald verwundert die Augen reiben. Sicher, Ausnahmen be- stätigen die Regel – gerade im Bereich der Top-Immobilien. Doch dazu später mehr.
Klar ist aber auch, dass es noch immer viele Kunden gibt, die ausreichend Kapital für den Immobilienkauf zur Verfügung haben. Warum diese in großer Zahl dennoch zurückhaltend sind, könnte außer den bereits erwähnten Gründen daran liegen, dass man auf weiter fallende Preise wartet. Ein durchaus riskantes Spiel.
Insgesamt ist dies eine wenig zufriedenstellende Gemengelage, zumal in Frankfurt auch die sonst so kaufaktive internationale Klientel eher reserviert ist. Bei der Einschätzung, wie lange die Phase dieser regelrechten Kaufverweigerung wohl noch anhalten wird, gehen die Meinungen weit auseinander.
Die Situation in der Spitzengruppe
Wie lautete noch das Zitat aus dem Film „Der Schuh des Manitou“? „Ich bin mit der Gesamtsituation unzufrieden“. So dürfte es in Frankfurt auch dem einen oder anderen Makler gehen. Allerdings sehen viele von ihnen in der Veränderung des Marktes auch Chancen. Zum einen rückt vor allem die Mikrolage endlich wieder in den Mittelpunkt. Zum anderen normalisiert sich der künstlich gepushte Markt womöglich durch die ebenfalls künstlich gepushten Zinsen wieder etwas. Aber vor allem ist nun Qualität gefragt – sei es bei den ange- botenen Objekten (Stichwort energetischer Standard), bei der Nachfrage (Stichwort Immobilientourismus) oder auch in der Maklerschaft selbst. Qualifizierte Beratung ist angesagt, Vermittlung statt Verteilung – getreu dem Motto: „Des einen Freud’, des anderen Leid.“
Die Lage im Umland
Spurlos geht die Krise auch an den Standorten im Frankfurter Speckgürtel nicht vorbei. Und die Vergleichbarkeit der Probleme von Metropole und Umland ist schon verblüffend. Rückläufige Neubauquoten, die das Angebot verringern, Käufer, denen die Bank das Wunschobjekt nicht mehr finanziert, oder Verkäufer, die noch immer die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben.
Allerdings kommt in den Frankfurter Randgebieten sowie im Einzugsbereich noch der Punkt Energieausweis erschwerend hinzu. Schließlich konzentriert sich die Nachfrage zu einem Löwenanteil auf das Segment der (möglichst) frei stehenden Häuser. Wenn hier Lage und Objektqualität stimmen, läuft der Markt unverändert gut. Dabei spielt es eine eher untergeordnete Rolle, um welchen Peripherie-Standort es sich handelt.
Fest steht allerdings auch, dass der viel zitierte energetische Standard gerade bei Häusern immer wichtiger wird. Wessen Objekt nicht zeitgemäß saniert ist, der wird letztlich über den Kaufpreis abgestraft. Auch hier herrschen neue Zeiten. Wie ein Damoklesschwert hängen Themen wie Heizungstausch und Zwangssanierung über den Immobilienbesitzern und denen, die es werden wollen.
Es ist keine Endzeitstimmung, doch es gab sicher schon einfachere Zeiten – auch im Frankfurter Umland.
Vorteile der Peripherie
Das Interesse an den Umlandlagen hat sich de facto kaum verringert. Sicher ist auch hier die Gruppe der möglichen Käu- fer kleiner geworden, doch die Standorte im Taunus oder im Süden Frankfurts sind ein- fach extrem beliebt. Bestes Beispiel ist Bad Soden. Die gerade von Familien gesuchte Stadt ist nicht nur verkehrstechnisch gut angebunden, sondern auch in puncto Inter- net via Glasfaser. Hinzu kommt die womög- lich doch endliche Diskussion um die West- Tangente zum Flughafen. Andere beliebte Standorte im Nordwesten Frankfurts sind Bad Homburg, Kronberg und Königstein.
Aufgrund der guten Erreichbarkeit, der vorhandenen Immobilienpalette sowie des kaum nennenswerten Fluglärms sind die Kleinstädte Dreieich und auch Langen ge- fragt. Während in Dreieich besonders die Villenkolonie Alt-Buchschlag im Fokus finanzstarker Käufer liegt, kann Langen als „nicht wirklich schön, aber praktisch“ be- zeichnet werden. Keine 30 Minuten braucht man von hier in die nahe Metropole. Nur zum Vergleich: In dieser Zeit hat man vom Hamburger Stadtzentrum nicht einmal die beliebten Elbvororte oder das Alstertal erreicht.
Sonderstatus für Wiesbaden und Mainz
Zwei ganz unabhängige Standorte im Umland sind die beiden Landeshauptstädte Wiesbaden (Hessen) und Mainz (Rheinland- Pfalz). Auch wenn diese in kaum 45 Mi- nuten Fahrtzeit zu erreichen sind, spielen Frankfurter Käufer hier kaum eine Rolle. Beide Märkte funktionieren absolut aus sich selbst heraus – wobei Mainz aktuell eher als wenig funktionsfähig bezeichnet werden muss. Zu gering die Nachfrage, zu groß die Unsicherheit bei den Käufern. Den Kopf sollte man auch hier nicht in den Sand stecken, doch von einer positiven Stim- mung ist man in der Fastnachtshochburg derzeit weit entfernt.
Auf der anderen Seite des Rheins, in Wiesbaden, sieht das ein wenig anders aus – zumindest im hochpreisigen Segment. Be- sonders gesucht: frei stehende Einfamilien- häuser. Der Markt sei insgesamt vollkom- men stabil, heißt es, was nicht zuletzt auch an der US-Community liegen mag, die vor Ort aktiv ist. Manch einer mag so etwas als langweilig erachten, angesichts der turbu- lenten Weltlage sollte man sich ob einer solchen Situation jedoch glücklich schätzen. Schön, wenn dann doch mal etwas ist wie in den Jahren zuvor!
Frankfurt in Zahlen
Quadratmeterpreise, ausgezeichnete Maklerunternehmen, Bauzahlen – interessante Hintergrundinfos zu Mainhattan
8,6 Millionen Gästeübernachtungen wurden im vergangenen Jahr in Frankfurt registriert. Das bedeutet eine Steigerung von 105,4 Prozent gegenüber dem coronagebeutelten Jahr 2021. Für das laufende Jahr 2023 rechnet das Wirtschaftsdezernat der Stadt sogar mit einem weiteren Anstieg der Gäste- und Übernachtungszahlen und einer weiteren Annäherung an vergangene Rekordergebnisse.
24.400 pro Quadratmeter betrug nach aktuellen Angaben des Gutachterausschusses Frankfurt am Main der höchste Preis, der für eine Eigentumswohnung im vergangenen Jahr bezahlt wurde. Bei besagter Immobilie handelte es sich nicht etwa um eine Wohnung in einem neuen Wohnturm, sondern um „ein Bestandsobjekt in dezentraler Lage“. Grundlage waren die bislang ausgewerteten Kaufverträge.
764.474 Einwohner zählt Frankfurt laut der aktuellen Statistik (Stand: Juni 2022). Damit weist die Mainmetropole den höchsten Bevölkerungsstand auf, der je registriert wurde. Noch nie waren in Frankfurt bislang über 760.000 Einwohner registriert. Aktueller Grund seien die Kriegsflüchtlinge, heißt es von offizieller Seite.
11 Jahre müssen Kaufinteressenten nach einer aktuellen Studie für eine durchschnittliche Neubauwohnung mit 80 Quadratmetern Wohnfläche in Frankfurt arbeiten. Mit Blick auf das Haushaltsnettoeinkommen liegt der Wert für eine Bestandswohnung ebenfalls bei rund elf Jahren. Das Bundesland Hessen rangiert laut Studie im Mittelfeld. So müssen Käufer hier mit acht Jahren für eine Neubau- sowie fünfeinhalb Jahre für eine Bestandswohnung rechnen.
5.025 Transaktionen wurden 2022 auf dem Immobilienmarkt Frankfurt registriert – gegenüber 2021 ein sattes Minus von gut 17 Prozent. Das Transaktionsvolumen lag bei 5,3 Milliarden Euro – ebenfalls ein deutliches Minus von über 27 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dabei war vor allem das zweite Halbjahr ausschlaggebend. Hier wurden lediglich 2,1 Milliarden Euro umgesetzt.
66 Immobilienfirmen aus der Metropolregion Rhein-Main wurden im Jahr 2023 mit dem begehrten BELLEVUE- Siegel „Best Property Agents“ ausge- zeichnet. Mehr Infos zur Auszeichnung in diesem Heft auf Seite 170 und online unter www.bellevue.de/bpa
BEL 03/23