Berliner Immobilienmarkt im Umbruch
Die Stimmung? Schlecht. Die Preise? Gefallen. Die Nachfrage? Geht so. Die Mieten? Steigen. Es gab sicher schon einfachere Zeiten an der Spree, aber nicht wenige sehen genau darin ihre Chance
Wenn ein Makler sagt, er habe zum ersten Mal kein Gefühl für den Markt, ist das erstmal kein gutes Zeichen. Wenn dieser Satz zudem von einem ausgewiesenen Experten mit über 20 Jahren Erfahrung im Berliner Markt stammt, könnte man das womöglich sogar als Alarmzeichen sehen. Die Einschätzung, welche Immobilien „laufen“ und welche nicht, sei selten so schwer gefallen wie in diesen Tagen, erklärt der Makler. Und das liege nicht zuletzt auch an der preislichen Diskrepanz zwischen den Vorstellungen der Verkäufer und den Geboten der möglichen Käufer. Die sei noch nie so hoch gewesen, berichten einige der befragten Experten. Willkommen in der neuen Realität der Hauptstadt.
Schlechte Stimmung und schlechte
Besagte Realität spiegelt sich auch in den Zahlen des Gutachterausschusses wider. Dort, wo die tatsächlichen Zahlen des Marktes gesammelt werden, sieht man die Auswirkungen besagter Stimmung. Und die befand sich ganz offensichtlich bereits 2022 auf dem absteigenden Ast: 27 Prozent Rückgang beim Transaktionsvolumen im vergangenen Jahr gegenüber 2021 und ein Minus von 21 Prozent bei den Kauffällen im gleichen Zeitraum.
Auch für das Jahr 2023 sieht die Tendenz keinesfalls besser aus. So sank die Zahl der verkauften Immobilien in den ersten sechs Monaten dieses Jahres um 31 Prozent auf 8.126, und der Geldumsatz ging um 37 Prozent auf 5,9 Milliarden Euro zurück. In einigen Teilbereichen waren die Rückgänge sogar noch höher. Zudem vermeldet der Gutachterausschuss, dass auch die Preise in den einzelnen Teilmärkten im ersten Halbjahr zwischen fünf und 33 Prozent Minus aufwiesen. Selbst bei einem „mörderischen“ Jahresendgeschäft wird man wohl lange suchen müssen, um einen Vergleichswert für das 2023er-Ergebnis zu erhalten.
Chance in der Krise?
Doch vom „Kopf in den Sand stecken“ halten die Experten in Berlin nichts. Selbst angesichts dieser Zahlen sind bereits wieder die ersten vorsichtig optimistischen Einschätzungen zu hören. Noch sei man im leichten Abschwung, doch insgesamt sollte der Bodensatz im Bereich der Wohnimmobilien zum Frühjahr 2024 erreicht sein, berichtet ein Experte. „Von Ausnahmen mal abgesehen“, wird die Einschränkung jedoch gleich hinterher geschoben...
Es ist schon eine seltsame Situation in der Hauptstadt. Auf der einen Seite sorgt neben den viel zitierten Faktoren wie Zinsanstieg, Energiepolitik oder Kriegsangst eine flächendeckende Rückläufigkeit für Unsicherheit. Auf der anderen Seite zieht die Stadt unvermindert Menschen in ihren Bann. Das hat Folgen. Von einem „absoluten Mietnotstand“ berichten viele. Gleiches gilt für den Begriff der „katastrophalen Regierungsarbeit“. Ob sich daran in absehbarer Zeit etwas ändere? Wahrscheinlich eher nicht, heißt es. Berlin sei eben Berlin.
Dennoch kommen nun auf diejenigen, die liquide sind, interessante Zeiten zu. Denn es ist ganz offensichtlich Shoppingzeit. Das gelte insbesondere auch für den Bereich der Neubauvorhaben, die aktuell nicht weitergebaut würden: Für „Player, die ihr Pulver trocken gehalten haben“, sei die Lage gut, erklärt ein Experte. Man könne jetzt durchaus günstig Bauvorhaben „einsammeln“.
Dauerthema Miete
Im Rahmen der Recherche für dieses Special trifft man allerdings auch auf Menschen, die seit Monaten eine ganz normale Mietwohnung suchen, und das, obwohl sie ihren Fokus nicht einmal auf spezielle Stadtteile legen. Da sind gut verdienende Neu-Berliner, die zu dritt auf 60 Quadratmetern leben und Mieten bezahlen, für die man vor Jahren noch fürstlich in den Seitenstraßen des Ku’damms hätte residieren können. Insgesamt eine Entwicklung, die man vielleicht in München oder London erwarten würde, nicht aber in der einst so günstigen Frontstadt. „Arm, aber sexy“ war gestern. Betrachtet man nur die stetigen Steigerungen bei den Angebotsmieten, ist diese Situation für Anleger überaus interessant. Fallende Kaufpreise, steuerliche Verbesserungen durch die neue degressive AfA (im Neubau) und steigende Mieten würden unterm Strich für eine lukrative Rendite sorgen. Wenn da nur nicht die Einschränkungen durch die städtische Politik wären.
Neubau als Lösung
Inzwischen hat es sogar Olaf Scholz begriffen: Ein „Umdenken“ in der Baupolitik sei nötig, stellte der Bundeskanzler bei einer Veranstaltung jüngst fest. Ach, wirklich? Für ganz Deutschland könne man sagen, man brauche wahrscheinlich 20 neue Stadtteile in den meistgefragten Städten und Regionen – so wie in den Siebzigerjahren. Das Bauen auf der „grünen Wiese“ habe man in den vergangenen Jahren nicht gewollt, es sei aber nötig. Klingt nach einem interessanten Neuansatz, der allerdings nur dann durchzusetzen ist, wenn man dem zweitwichtigsten Wirtschaftszweig des Landes nicht weiterhin Steine in den Weg legt. Oder es andere verhindernde Faktoren gibt. So wie in Berlin zum Beispiel beim Projekt Pankower Tor. Die seit Jahren geplanten 2.000 Wohnungen auf dem ehemaligen Rangierbahnhof konnten bislang nicht umgesetzt werden, weil sich dort Kreuzkröten angesiedelt haben. Wenn Tierschutz vor der Not der Menschen kommt, hat das Umdenken leider natürliche Grenzen.
Neuer Handlungsspielraum
Wie bereits eingangs erwähnt, ist die Schwierigkeit der Einschätzung von Lagen und Immobilien aktuell größer denn je. Dass Qualität gefragt ist, hat sich mittlerweile herumgesprochen, doch jeder Marktteilnehmer sucht nach dem für sich entscheidenden Argument. Als Beispiel kann hier der Berliner Südosten herhalten. Die Vorzüge von Köpenick, Friedrichshagen & Co. in Sachen Lebensqualität waren bekannt, doch mit dem neuen Flughafen und der Ansiedlung von TESLA wurde die Lupe auf diese Region gelegt, wie es ein Makler ausdrückt. Eigentümer, die sich nun Spitzenpreise aufgrund neuer internationaler Kundschaft erhoffen, könnten dennoch enttäuscht werden. Gesucht werde nämlich vor allem erst einmal Mietwohnungen. Berlin ist halt eine Mieterstadt.
Und so wie hier steht es auch um andere Standorte in der Metropole. Interesse ist durchaus vorhanden, doch die Abschlussbereitschaft lässt oftmals zu wünschen übrig. Wenn das Gesamtkonzept der Immobilie nicht stimmt oder das Zusammenspiel von Preis und Leistung nicht passt, nehmen potentielle Kunden aktuell eher Abstand vom Kauf. Das gilt vor allem für Bestandsimmobilien mit ihren zum Teil schlecht zu kalkulierenden Folgekosten in Sachen Sanierung. Verkäufer, die jetzt nicht verhandlungsbereit sind, könnten mittelfristig auf ihrer Immobilie sitzen bleiben. Das ist übrigens mehr als nur so ein Gefühl...
BERLIN IN ZAHLEN
Quadratmeterpreise, ausgezeichnete Maklerunternehmen, Bauzahlen – interessante Hintergrundinfos zur Hauptstadt
13,8 Millionen Übernachtungen registrierte das Statistikamt für das erste Halbjahr 2023 in der Hauptstadt – eine Steigerung von 23,9 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum.
Insgesamt besuchten in den ersten sechs Monaten rund 5,7 Millionen Gäste Berlin, was ein Plus von 30,2 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum bedeutet.
24.000 pro Quadratmeter betrug nach aktuellen Angaben des Gutachterausschusses Berlin der höchste Preis, der für eine Eigentumswohnung im laufenden Jahr bezahlt wurde. Bei der Immobilie handelte es sich um eine Neubauwohnung mit rund 180 Quadratmetern Wohnfläche zwischen Oranienburger Straße, Friedrichstraße, Monbijoupark und Spree. Grundlage waren die bis zum 31. Oktober ausgewerteten Kaufverträge.
Erster Platz für Pankow. Nach einer aktuellen Studie der Onlineplattform Rentola ist der nördliche Stadtteil der beste in der Haupstadt. Untersucht wurden Daten von Polizei, Statistischen Ämtern und anderen offiziellen Quellen. Unterteilt in neun Kategorien – von Arbeit, Kultur und Freizeit über Kriminalität bis zu Immobilienpreisen – ergab sich ein deutliches Bild: Pankow lag mit einem Wert von 7,7 klar vor Mitte (6,0). Schlusslicht: Neukölln (3,1).
21.708 Kauffälle wurden dem Gutachterausschuss für Grundstückswerte in Berlin im vergangenen Jahr übermittelt. Im Jahr 2021 waren es noch 27.646 – also ein sattes Minus von rund 21,5 Prozent.
Das Transaktionsvolumen lag mit etwa 17,49 Milliarden Euro sogar knapp 26,7 Prozent unter dem des Vorjahres (2021: 23,85 Milliarden Euro).
17.310 Wohnungen wurden im vergangenen Jahr nach Angaben des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg fertiggestellt – ein durchaus überraschendes Plus von 9,1 Prozent gegenüber 2021, als 15.870 Wohnungen gebaut wurden. Bis auf das Jahr 2019, in dem 18.999 Einheiten registriert werden konnten, ist das Ergebnis von 2022 deutlich besser als in allen Jahren seit 1998. Das Ziel des Berliner Senats, pro Jahr mindestens 20.000 Wohnungen fertigzustellen, wurde dennoch verfehlt.
56 Immobilienfirmen aus der Metropolregion Berlin wurden im Jahr 2023 mit dem begehrten BELLEVUE- Siegel „Best Property Agents“ ausgezeichnet. Mehr Infos zur Auszeichnung in diesem Heft auf Seite 146 und online unter www.bellevue.de/bpa
BEL 01/24